Ziemlich jeder hat eine mehr oder weniger konkrete Vorstellung davon, was er von einem Agile Coaching erwarten würde. Meine Praxiserfahrung zeigt aber, dass die Erwartungshaltung zum Teil erheblich auseinanderdriftet. Ohne eine empirische Erfassung durchgeführt zu haben, meine ich jedoch, dass die Mehrzahl ein uneinheitliches Bild von den Aufgaben und Zielstellungen des Agile Coachings haben.

Aufgaben und Zielstellungen eines Agile Coaches

In der Praxis begegnet mir oft eine Erwartungshaltung, nach der der Agile Coach eine Einzelperson, das Team, das Management oder die Organisation anleiten soll. Er soll konkrete Probleme lösen, die z.B. bei der Transformation von der „klassischen Projektarbeit“ hin zu agilen Arbeitsmethoden oder beim Set Up von Scrum Teams entstehen. Es ist menschlich, dass wir uns nach einfachen Lösungen sehnen. Jemand soll uns sagen, wie es geht und man setzt das Ganze dann nach einem bewährten Leitfaden um. Problem gelöst.

Leider ist es oft nicht so einfach. Die gerade beschriebene Erwartungshaltung lässt sich auch besser mit einem Berater realisieren. Worin unterscheiden sich also Agile Coaches und Berater?

  • Agile Coach

    • Analyse der Wahrnehmung einer Aufgabe/ der Rolle
    • Auswertung von Erlebnissen (Aktion > Reaktion)
    • Reflektion des Verhaltens
    • Persönliche Entwicklung des Coaches
  • Berater

    • Analyse der Arbeitsaufgaben
    • Klärung konkreter fachlicher Fragen
    • Fachliche Unterweisung
    • Aufzeigen von Lösungsmöglichkeiten

Beratungstätigkeit des Agile Coaches

Ein Beispiel soll den Unterschied noch einmal verdeutlichen. Wie eine Retrospektive durchzuführen ist, kann man sich gut selbständig aneignen. Das sollte keine Schwierigkeit sein. Die Durchführung einer gewinnbringenden Retrospektive dagegen ist immer wieder eine besondere Herausforderung, gerade für Einsteiger in diese Thematik. Eine fachliche Anleitung, was in einer Retrospektive zu tun ist, fällt unter den Begriff Beratung. Das Erarbeiten von individuellen Vorgehensmodellen und die Reflektion des Verhaltens – z.B. in Rollenspielen mit anschließendem Feedback –, wie eine Retrospektive erfolgreich geführt und weiterführend genutzt werden kann, ist Coaching. Hier ist dann auch die oft zitierte Sozialkompetenz ein elementares Element.

Ich möchte das Agile Coaching noch etwas genauer charakterisieren. Einfach ausgedrückt, richtet der Agile Coach den Blick ausschließlich nach vorn. Eine zentrale Frage lautet: Welche Potentiale sind vorhanden und lassen sich gewinnbringend einsetzen? Zu Beginn eines Coachings sollte man die folgenden Fragen zusammen mit den Coachee (der zu coachende Mitarbeiter) beantworten:

Wie stellt sich die aktuelle Situation dar? Was soll erreicht werden? Wie soll der Zielzustand aussehen? Welche Lösungsoptionen bieten sich an, um den Zielzustand zu erreichen? Welche der Lösungsoptionen bietet den meisten Nutzen in Hinblick auf das gesetzte Ziel? Wie sichere den Erfolg ab? Welche Maßnahmen unterstützen die Absicherung meines Erfolges?

Der Agile Coach muss in der Lage sein, potentielle Hindernisse und Schwierigkeiten vorauszusehen. Zusammen mit dem Coachee werden Ideen und Strategien entwickelt, wie mit diesen Herausforderungen umzugehen ist.

So sollte man hinterfragen, warum für eine angestrebte Veränderung gerade jetzt die Zeit reif ist. Es sollte in einem Perspektivwechsel auch beachtet werden, wie andere Prozessbeteiligte die aktuelle Situation und die geplante Veränderung sehen und bewerten. Weiterhin nicht zu vergessen ist der Blick auf Nachteile, die sich mit einer Veränderung ergeben. Selten gibt es ausschließlich Gewinner. Welche Faktoren sprechen also gegen die geplante Veränderung?

Die Begleitung des Coachee erfolgt ausschließlich über Fragestellungen. Der Agile Coach lenkt durch seine Fragen in die Richtung einer Problemlösung. Dafür sind Erfahrung und Einfühlungsvermögen die entscheidenden Erfolgsfaktoren des Agile Coaches. Bereits gesammelte Erfahrungswerte des Coachee sind ebenfalls von unschätzbarem Wert. Fehler darf man machen, aber bitte nur einmal! Der Coachee sollte sein Verhalten immer wieder kritisch hinterfragen und anpassen. So entwickelt man Schritt für Schritt eine Routine, die dazu führt, dauerhaft besser zu werden.

Blog Mario Hering

Mario Hering

Als erfahrener Senior Consultant war Mario Hering bei zahlreichen großen und angesehenen Unternehmen meist langjährig im Einsatz. Seine Sporen verdiente er sich im klassischen Projektmanagement, wobei er sehr früh das Potential von agilen Arbeitsmethoden erkannt hatte. Inzwischen ist er als Agile Coach und Scrum Master bei unseren Kunden tätig und treibt Agilität in den Unternehmen zielstrebig und konsequent voran.